Text

Himmelblau. Fahrt. Baumkronen im Anschnitt. Der Blick senkt sich langsam auf das Autobahngrau. Dann am Horizont, ein aufsteigendes Massiv. Unausweichlich, unumgänglich, als ginge ein Sog von ihm aus. Ein blinkender Pfeil warnt vor einer Fahrbahnverengung. Die Autos scheinen Anlauf zu nehmen. Wie Lemminge erledigen sie einen Anstieg mit unbestimmtem Ende. Denn von hieraus ist ein Ziel nicht auszumachen. Den Anrollenden bietet sich nur der Himmel als Landungsort an.

Harter Schnitt. Seitenansicht Brückenpfeiler. Mit monolithischer Erhabenheit teilt er eine Landschaft aus Gras und Büschen in ein Davor und ein Dahinter. Wieder eröffnet das Bild keine Kausalitäten, keine architektonische Logik. Es zeigt nicht den Nord-Ostsee-Kanal, der sich braungrün von links nach rechts an den versenkten Spundwänden vorbeischiebt, und noch eine ganze Weile nicht die Totale der Konstruktion, mit 2,8 Kilometer eine der längsten Deutschlands, der Hochbrücke Brunsbüttel.

Der nach ihr benannte Film von Karsten Wiesel addiert bauliche Details, Betonträger, Wände, Hohlräume, Treppen und Verstrebungen der Brücke. Und er präsentiert sie mit der Massigkeit und der schon mystischen Überhöhung, die üblicherweise den Anblick eines sakralen Monuments grundieren. Wiesel und Kameramann Sin Huh setzen die Hochbrücke wie ein übermenschlich großes Hindernis oder Ausrufezeichen eines gottähnlichen Bauherren ins Bild und damit entgegen ihres Nutzwertes als Verbindung zwischen zwei Ufern. Der Film löst die Pragmatik der Brücke in einzelnen Formen auf und zersetzt ihre ursprüngliche Bedeutung in der Abstraktion.

Vertikale Betonachsen verlaufen gleichberechtigt in einer horizontalen Kulturlandschaft, in der weder Gewässer noch das Grün etwas mit Natur oder gar Ursprünglichkeit zu tun haben.

All das steht im Dienst eines durchdachten und zugleich sinnlichen Formalismus, dem der Film auch im Akustischen Rechnung trägt. Denn was wir hören ist eine Komposition aus Geräuschen, Klängen und Atmosphäre, die Gregory Büttner und Clemens Endreß vor Ort aufgezeichnet haben. Das Rauschen der Anfahrt, eine Mischung aus Motoren und Wind. Unheimlich, das harte Knacken und Ächzen der Pfeiler und Stahlträger. Federungen und Reifen klingen wider in dem Wischen und Poltern der Kleinwagen und Schwertransporte auf den Metallplatten der Fahrbahnübergänge. Klänge aus den inneren Räumen der Konstruktion fügen sich zu äußeren Ansichten, ganz so, als spreche das 40-jährige Bauwerk. Dazu die Arbeiter, die stoisch jeden Zentimeter mit Hammer und Stahlstangen nach Schäden abklopfen. Der Hall in Kammern, Schächten und Treppenhäusern, das Surren eines unter Last stehenden Stahlbandes, all das wird wie unter einer akustischen Lupe untersucht und vorgestellt.

So klar und logisch sich der äußere Aufbau des Brückenbaus schließlich in der Bildtotale ausnimmt, so wird zwischenzeitlich trotz aller Symmetrien die Orientierung für das Oben und Unten, Rechts und Links entzogen. Und es entsteht das Gefühl, in dieser Welt verloren zu gehen. Mal scheint das Bauwerk klaustrophobisch eng, mal monströs weit.

Die Hochbrücke, einstige Projektionsfläche der 80er-Jahre-Gesellschaft für eine grenzenlose Mobilität, wird schließlich mit ihrem eigenen Sound ganz zum Klangkörper und zur Protagonistin eines eindrücklichen Kinoereignisses.

Text: Birgit Glombitza